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GASTKOLUMNE von Dr. Christoph Müllerleile
Menschen geben an Menschen
 
Dr. Christoph Müllerleile
Für Fundraiser ist sie eine Binsenweisheit. Bei meinen Seminaren löst sie häufig Erschrecken, manchmal regelrecht Ärger aus, die Erkenntnis „People give to People — Menschen geben an Menschen“. Es sei in erster Linie der gute Zweck, mit dem man überzeugen müsse, nicht die Persönlichkeit, die um Spenden bittet, wird mir entgegengehalten. In der Praxis ist es aber, zumindest bei der Erstspender-gewinnung, genau andersherum. Erst kommt die sympathische, Mitgefühl weckende, manchmal charismatische Persönlichkeit, der man keine Bitte abschlagen kann. Dann entdeckt man, dass sie Recht hat.
 
Vor einigen Tagen saß ich im Publikum einer Jubiläumsfeier und fühlte mich an die Gültigkeit des People-Satzes erinnert. Der Initiator einer Theatergruppe, die durch die Schulen zieht und mit Rollenspielen für Toleranz und gewaltfreie Konfliktlösung wirbt, stand zehn Jahre nach der Gründung vor einem mit Schülern, Eltern, Lehrern und jungen Laiendarstellern gefüllten Theater und begrüßte einen Staatssekretär, drei Bürgermeister, das Vorstandsmitglied eines großen Flughafenbetreibers, hohe Polizeibeamte, den Leiter des Sozialamts, Schulleiter — alle zusammen Förderer der guten Sache, für die kaum jemand einen Cent gegeben hätte, wäre er nicht auf die zugekommen. Der junge Offenbacher iranischer Herkunft hatte es mit Charme, Beharrlichkeit, Überzeugungskraft und einem unerschütterlichen Glauben geschafft, Anhänger zu gewinnen, Zuschussquellen zu erschließen, Preise einzuheimsen, manchmal ins Fernsehen zu kommen und dabei das Engagement seiner Theatertruppe finanziell und personell dauerhaft zu sichern. Und das ehrenamtlich neben einem erfolgreich ausgeübten Beruf. Alle denkbaren öffentlichen und privaten Quellen wurden angezapft, Sponsoren gewonnen, private Förderer sowieso. Ein Fundraiser wurde eingestellt. Als cleverer Geschäftsmann verkaufte Erfan Enayati die „Shows“ seines Peoples’ Theater an die Schulen, und die konnten garnicht genug davon bekommen, obwohl oder weil sie Geld kosten. Selbst für die Jubiläumsfeier verlangte er Eintritt. Und niemand konnte das Capitol-Theater verlassen, ohne über eine große Spendenbox mit breitem Einwurfschlitz zu stolpern. Der Verein, der sich inzwischen eine GmbH für kommerzielle Serviceleistungen zugelegt hat, könnte nun auch ohne seinen Gründer laufen.
 
Wer nicht kapiert, dass Fundraising nur auf persönlicher Basis funktioniert, und wer sich das persönliche Bitten nicht zutraut, sollte nicht ins Fundraising gehen. Dass selbst das umstrittene Face-to-Face-Fundraising in Fußgängerzonen, auf Bahnhöfen und an der Haustür trotz negativer Auswüchse noch funktioniert, bestätigt die Wirksamkeit persönlicher Ansprache.
 
Natürlich ist es nicht jedermanns Sache, an Haustüren zu klingeln und um Spenden für die gute Sache zu bitten. Eine gute Übung wäre das aber schon, wenn es zur Auflockerung trockner, theoriebeladener Fundraising-Seminare erprobt würde. Als ich ein Praktikum bei einem demoskopischen Institut machte, saß ich in der Fragebogenkonferenz, in der die Fragen entworfen wurden, mit denen die Interviewer bundesweit „ins Feld“ gehen sollten. Da war es selbstverständlich, dass wir unsere Fragebögen nahmen, an die Türen der Dorfbevölkerung klopften und testeten, ob das Gefragte auch so verstanden wurde, wie wir es meinten.
 
Was spricht dagegen, Teilnehmer von Fundraising-Seminaren für zwei Stunden mit einer Sammelbüchse auf die Straße zu schicken oder das Fundraising-Gespräch zum Teil einer praktischen Prüfung der Fundraiser-Ausbildung zu machen? Angehende Lehrer müssen sich ja auch in den Klassen bewähren. Leider verstecken sich manche Berufskolleginnen und Berufskollegen hinter Bergen von Briefen an nach allen Regeln der Kunst ausgewählte Adressaten und suchen im angeblich heftig umkämpften Spendenmarkt nach Erklärungen für den geringen Rücklauf. Zumindest bei der Großspendergewinnung müssten sie gelernt haben, dass die echten Entdeckungen nur durch persönlichen Kontakt zu Stande kommen.
 
Ich habe selbst erlebt, dass ein charismatischer Prediger zu einem älteren Ehepaar kam, das nur einen Rat haben wollte. Nach längerem Gespräch zog der Mann zwei Goldbarren heraus und übergab sie dem Pater. Im weiteren Verlauf des Gesprächs sagte er verschmitzt: „Ich habe noch mehr.“ Dann ging er ins Bad zu einem Wandschrank, nahm das Vorderteil heraus und gab dem Pater alle zehn Goldbarren, die er dahinter verborgen hatte. Eine Riesenspende für ein persönliches Gespräch, bei dem es zunächst überhaupt nicht ums Spenden ging.
 
Ich habe auch erlebt, dass ein bekannter Fernsehjournalist auf Empfehlung eines Bankvorstands zu mächtigen Industriebossen reiste und bei jedem eine erkleckliche Summe Geldes abholte, die den Grundstein für ein bedeutendes Hilfswerk legte. Ohne das beharrliche Klinkenputzen des Fernsehjournalisten, der zudem seine Sendungen kräftig für die Werbung einsetzte, und ohne viele bekannte Leute, die das Aussprechen von Spendenbitten nicht scheuten, hätte die Organisation ihren Durchbruch und ihre heutige fast monopolartige Alleinstellung kaum geschafft.
 
Was auf nationaler Ebene klappt, geht auf lokaler Ebene erst recht. Deshalb rate ich allen, die ein Hilfswerk gründen wollen, zunächst einmal zur Akquise auf lokaler Ebene. Wem es gelingt, seine eigenen Freunde zu gewinnen, der wird auch andere überzeugen, und umgekehrt. Die vielen Leute mit den guten Ideen, denen es schwer fällt, ihre eigene Persönlichkeit einzubringen, und die deshalb unbekannte Massen in der Ferne mit Mailings beglücken, scheitern früher oder später unter hohen Kosten.
 
Dr. Christoph Müllerleile
 
Der Autor ist freier Fachautor für Fundraising und Philanthropie. Der Kommentar stellt seine persönliche Meinung dar. Kontakt: muellerleile@fundraising-buero.de
 
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